Neolog

In meinem digitalen Bild zitiere ich typische Merkmale eines Renaissancegemäldes. Ich berufe mich auf diese Tradition, um Neuerungen meiner Zeit im Vergleich deutlich zu machen. Drei spezifische Merkmale aus der Malerei dieser Epoche habe ich dazu ausgewählt: die Darstellung zivilisierter Landschaft als Hintergrund, die der Stadtlandschaft als Bühne und die schöner, nackter Menschen als Symbol kultivierter Sinnlichkeit. Man findet diese Merkmale nicht in jedem der Gemälde, trotzdem lassen sie sich als signifikant bezeichnen. Zwei allgemeine Merkmale kommen noch hinzu. Gemeint sind der Realismus und die Zentralperspektive. Sie waren damals für jedes Bild verbindlich. Die Auftraggeber ließen ihre Vorstellungen und Errungenschaften in illusionistischer Genauigkeit abbilden. Individualität – etwa die Schönheit der Geliebten – wurde erstmals zum Thema, ebenso die Darstellung bürgerlicher Besitztümer – etwa der eigener Ländereien und Paläste. Die Benennung des Individuellen und die geometrisch definierte Übersetzung von Raum in Fläche waren Zeichen für den Vormarsch der Naturwissenschaft, für den Machtanspruch des Geistes gegenüber dem Mythos, für die wachsende Macht des Bürgertums gegenüber Kirche und Adel.
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Mein Bild vertritt die Virtualität. Meine Darstellung der Landschaft ist gemorpht. Ein Programm hat die Übergänge unterschiedlicher Fotografien errechnet, nicht die der Ränder, sondern die ganzer Bildflächen. Dargestellt wird ein Zustand zwischen den Originalen. So erklären sich die Verzerrungen. Nichts im Morphing ist Ablichtung der Natur, alles ist gerechnet. Meine Architektur besteht aus den kubischen Musterformen eines Programms, mit dem sich 3-D Visualisierungen herstellen lassen. Ich habe mit ihnen gespielt, sie auseinandergenommen und zu Neuem zusammengesetzt. Meine Nackten sind einzeln im Studio fotografiert. Eine Jede und ein Jeder für sich. Erst im Photoshop haben sie zueinander gefunden. Dabei habe ich die räumlich realistische Darstellung ad absurdum geführt. Das Vorbild sind die Grafiken Eschers. Die Darstellung körperlicher Nähe wird so zu einer offensichtlich konstruierten, nur im Bild möglichen Form der Berührung. In der physischen Welt kann es sie nicht geben.

Bei aller Ähnlichkeit hat meine Darstellung der Wiesen und Gebäude wenig mit denen der Renaissance gemein. Sie repräsentiert nicht mehr die physische Welt, bedeutet vielmehr die Welt der Rechner, in der ein Jeder, ohne sonderliche Qualifikation, Bilder im spielerischen Umgang mit Programmen produzieren kann. Meine Landschaften und Gebäude bezeichnen die virtuelle Realität. Die Daten ließen sich auch als Vorgabe für Drucker nutzen, die daraus dann den Bildern entsprechende Dinge in der physischen Welt ausgäben. Aus dieser Perspektive gesehen würde mein Bild die physische Welt nicht mehr vor-, dafür aber herstellen. Eine Umkehrung der Verhältnisse. Auch bei der Darstellung körperlicher Schönheit geht es in meinem Bild nicht um die Vorstellung von etwas Physisch-Tatsächlichen. Es geht um ein Symbol für den Ersatz physischer Nähe durch Bilder, der, als Folge der digitalen Kommunikation, zum Normalfall zu werden droht. Man schaue sich die sozialen Netzwerke an.Seinem Herrschaftsanspruch nach, ist das neue, digitale Bild mit dem alten, handwerklichen verwandt. Aber es scheint mächtiger zu sein. Digitale Bilder sind Teil der unkörperlich, geistartigen Sphären der Rechner. Sie werden dort zu virtuellen Spielwiesen unserer Phantasie, sie realisieren dort die körperlose Teilnahme am physischen Leben, sie gewinnen von dort aus selber Macht über die Welt der Dinge und Körper. Sie verändern das Wesen der Welt.